Von Dr. Korbinian Weigl & Dr. Raphael Weinberger
Was ist eine Anwendungsbegleitende Datenerhebung (AbD)?
Eine Anwendungsbegleitende Datenerhebung (AbD) ist eine nicht-randomisierte, vergleichende Evidenzgenerierung, die in der Regelversorgung durchgeführt wird. Der Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) kann eine AbD anordnen, wenn die vorliegende Evidenz für ein Arzneimittel nicht zur Quantifizierung eines Zusatznutzens als ausreichend erachtet wird. Betroffen sind Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan Drugs) sowie Arzneimittel mit speziellen Zulassungstypen (bedingte Marktzulassung oder Zulassung unter besonderen Umständen).
Notwendig sind AbD auch, weil es unterschiedliche Anforderungen an die zu erbringende Evidenz zwischen dem europäischen Zulassungsverfahren und der deutschen Nutzenbewertungen gibt. Die AbD soll bestehende Unsicherheiten zur Wirksamkeit und Sicherheit neuer Arzneimittel verringern und eine fundierte Entscheidung über deren langfristige Erstattungsfähigkeit ermöglichen.
Hintergrund: Einführung durch das GSAV
Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wurde 2019 die AbD als Instrument vom Gesetzgeber eingeführt. Die Vorgaben zur Dauer, Art und Umfang der Datenerhebung sowie der Auswertung legte der Gesetzgeber mit dem GSAV in die Hände des G-BA. Insbesondere soll dieser Vorgaben zur Methodik und patientenrelevanten Endpunkten machen. Der G-BA regelt seither die Anforderungen an eine AbD in seiner Verfahrensordnung.
Wie läuft eine AbD ab?
- Prüfung durch den G-BA:
Zunächst prüft der G-BA, ob die vorhandenen Studiendaten für eine belastbare Bewertung von Nutzen und Zusatznutzen ausreichen. Sollte das nicht der Fall sein, kann eine AbD angeordnet werden. Der Zeitpunkt der Prüfung durch den G-BA beschränkt sich dabei nicht auf die frühe Nutzenbewertung, sondern kann bereits deutlich davor (bspw. bei Einreichung der Zulassungsunterlagen bei der European Medicines Agency (EMA) durch den pharmazeutischen Unternehmer [pU]) stattfinden. Damit stellt der G-BA sicher, dass eine mögliche AbD bereits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Medikaments (oder kurz danach) starten kann und die Datenlücke möglichst klein bleibt. - Festlegung der Anforderungen:
Im nächsten Schritt definiert der G-BA, welche Daten erhoben werden müssen (z. B. Wirksamkeit, Sicherheit, Patientengruppen) und welche Methodik der Datenerhebung zugrunde gelegt wird (z. B. Registerstudien, klinische Studien, Real-World-Daten). Auch die Dauer der Datenerhebung, die Zeitpunkte für Zwischen- oder Endauswertung und die Art der Auswertung werden festgelegt. Für diese Konzepterstellung kann das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom G-BA beauftragt werden, wobei ggf. sachverständige Stellen zur Beratung hinzugezogen werden können. - Vorbereitung der Studienunterlagen:
Der pU bereitet die Studienunterlagen (Studienprotokoll, Statistischer Analyseplan) gemäß dem erarbeiteten Konzept des G-BA bzw. des IQWiG vor. Sollte das Beschlussgremium des G-BA der Meinung sein, dass sich die Studienunterlagen eignen, kann die AbD beginnen. Falls nicht, werden die Unterlagen an den pU mit Aufforderung um Umsetzung der Änderungsvorschläge zurückgeschickt. - Durchführung der AbD:
Für die Durchführung der AbD ist der pU verantwortlich und er ist verpflichtet, regelmäßig Statusberichte und Zwischenanalysen an den G-BA zu übermitteln. Mindestens alle 1,5 Jahre überprüft der G-BA den Fortschritt und die Qualität der erhobenen Daten, um sicherzustellen, dass sie eine valide Grundlage für eine erneute Nutzenbewertung bieten. - Erneute Nutzenbewertung:
Wenn ausreichend aussagekräftige Daten vorliegen, erfolgt eine erneute Bewertung des Zusatznutzens. Diese hat naturgemäß Einfluss auf den Zusatznutzen des Arzneimittels und damit auf die Preisgestaltung und Erstattung durch die Krankenkassen.
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Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass der G-BA die Anwendung des Arzneimittels, für das eine AbD angeordnet wird, auf Ärztinnen und Ärzte beschränken kann, die an der AbD mitwirken. Dadurch soll sichergestellt werden, dass möglichst alle Behandlungen in der klinischen Praxis vollständig erfasst werden.
Herausforderungen bei der Durchführung von AbD
Die Tatsache, dass bereits AbD als nicht realisierbar eingestuft wurden, deutet darauf hin, dass eine Durchführbarkeit nicht immer als gegeben angenommen werden kann, selbst wenn anfangs scheinbar geeignete Datenquellen identifiziert wurden. Denn: aufgrund des gesetzlich festgelegten Charakters einer AbD als nicht-randomisierte Studie auf Grundlage von Versorgungsdaten ist die Studienplanung durch ein hohes Maß an Komplexität geprägt. Anders als in randomisierten, interventionellen Studien müssen die Realbedingungen der deutschen Versorgung berücksichtigt werden. Die Frage der Umsetzbarkeit unter Realbedingungen ist daher ein wiederkehrendes zentrales Diskussionsthema. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da der Anwendungsbereich der AbD genau diejenigen Arzneimittel umfasst, für die z. B. aufgrund der Seltenheit der Erkrankung oder eines besonders hohen medizinischen Bedarfs die Generierung von Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien von vornherein erschwert war.
Zur Komplexität der Planung und Durchführung einer AbD kommen noch methodische Besonderheiten bei der Auswertung der Studiendaten in Bezug auf die Quantifizierung des Zusatznutzens. Der Nachweis eines Zusatznutzens anhand von Daten aus einer AbD erfordert laut IQWiG das Testen einer verschobenen Nullhypothese, wonach eine Schwelle des Relativen Risikos (RR) von 2-5 vorgesehen ist. Das IQWiG fordert dabei allerdings eine Anwendung der Schwellenwerte auf die Grenzen des 95 %-Konfidenzintervalls, und nicht auf den Effektschätzern selbst. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer höheren Fallzahl, was naturgemäß in den Indikationen, in denen eine AbD gemeinhin gefordert wird, schwierig zu realisieren ist.
Derzeit laufende AbD-Verfahren
Mit Stand Februar 2025 gibt es 20 eingeleitete AbD-Verfahren. Von diesen 20 Verfahren werden für fünf Wirkstoffe derzeit Daten im Rahmen einer AbD erhoben (Valoctocogen Roxaparvovec [Hämophilie A], Etranacogen Dezaparvovec [Hämophilie B], Risdiplam [Spinale Muskelatrophie], Onasemnogen-Abeparvovex [Spinale Muskelatrophie, und Brexucabtagen-Autoleucel [Rezidiviertes oder refraktäres Mantelzell-Lymphom]).
Bei derzeit sieben Verfahren wurde ein AbD-Verfahren lediglich eingeleitet, und bei weiteren zwei Wirkstoffen wurde eine AbD bereits gefordert. Eine weitere Datenerhebung wird nicht durchgeführt, da vom pU keine Studienunterlagen eingereicht wurden. Fünf AbD-Verfahren wurden bisher eingestellt: bei einem Wirkstoff (Marstacimab) wurde die Orphan Designation zurückgenommen, wodurch die gesetzlichen Voraussetzungen für eine AbD nicht mehr gegeben waren, und bei vier Wirkstoffen (Brexucabtagen-Autoleucel, Epcoritamab, Exagamglogen Autotemcel und Odronextamab) sah der G-BA die Durchführung einer AbD als nicht realisierbar an.
Notwendigkeit der methodischen Spezifizierung
Laut der Gesetzesbegründung des GSAV sollte vom G-BA so konkret wie möglich festgelegt werden, wie eine AbD durchgeführt werden soll. Eine Analyse der bisherigen Konzepte des IQWiG und der Forderungsbeschlüsse des G-BA zeigt jedoch, dass diesen gesetzlichen Anforderungen häufig nicht Genüge getan wird und keine hinreichend konkreten Vorgaben zu zentralen Aspekten der Studienplanung gegeben werden. Diese Diskrepanz scheint auch vom G-BA erkannt worden zu sein, denn in Anbetracht der bisherigen Verfahren wurde das IQWiG mit Beschluss vom 5. Februar 2025 vom G-BA damit beauftragt, innerhalb von neun Monaten eine weitergehende wissenschaftliche Aufarbeitung der methodischen Anforderungen an nicht-randomisierten Studien vorzunehmen. Der Fokus soll dabei auf den Themenbereichen Identifikation und Auswahl von Confoundern, Schätzung notwendiger Fallzahlen vor dem Hintergrund unzureichender Vorabinformationen, Behandlungswechsel, Beobachtungsstart, fehlende Werte, patientenberichtete Endpunkte und Propensity Score Analysen in Anwendungsgebieten mit kleinen Patientenkollektiven liegen. Damit werden de facto alle Themenbereiche eingeschlossen, die eine besondere methodische Herausforderung bei AbD sind. Eine Konkretisierung der Anforderungen in diesen strittigen Themen ist dringend nötig und man darf gespannt sein, welche konkreten Ergebnisse letztlich präsentiert werden und ob diese dazu beitragen können, die Durchführbarkeit von AbD zu verbessern.
AbDs bei GKM
Als verlässlicher Partner im Bereich Health Economy & Outcomes Research mit ausgewiesener Expertise im Bereich Arzneimittel-Neuordnungs-Gesetz (AMNOG) und mit unserer langjährigen Erfahrung bei der Durchführung von sowohl interventionellen als auch nicht-interventionellen Studien profitieren Sie von GKM Therapieforschung mbH bei der Planung und Durchführung Ihrer AbD. Wir wissen um die Herausforderungen, die eine AbD mit sich bringt, und freuen uns, Ihnen mit unserer Kompetenz zur Seite zu stehen.
Quellen:
[1] Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung: GSAV; 2019. (Bd. 2019)[Stand: 18.02.2025].
Verfügbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl119s1202.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_
id%3D%27bgbl119s1202.pdf%27%5D__1741947308051
[2] Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Beauftragung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: Wissenschaftliche Ausarbeitung zur Methodik im Bereich der anwendungsbegleitenden Datenerhebung; 2025[Stand: 18.02.2025].
Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-11174/2025-01-28_AM-RL_IQWiG-Beauftragung_wiss-Ausarbeitung-Methodik-AbD_TrG.pdf
[3] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Allgemeine Methoden: Version 7.0: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen; 2023[Stand: 18.02.2025].
Verfügbar unter: https://www.iqwig.de/methoden/allgemeine-methoden_version-7-0.pdf.
[4] Wilken M, Berkemeier F. Machbarkeit und Praktikabilität der anwendungsbegleitenden Datenerhebung (AbD).
MVF 2024; 2024(02):62–8.
doi: 10.24945/MVF.02.24.1866-0533.2595
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