Das Bewertungsverfahren für Medizinprodukte: erste Erkenntnisse und Empfehlungen

Bewertungsverfahren Medizinprodukte: Erkenntnisse und Empfehlungen

Mit der Bekanntmachung der neuen Verfahrensregelungen zum 23. August 2016 hat der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Aufgabe, stationär erbringbare Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 137h SGB V zu bewerten. Diese Bewertung stellt die Grundlage für die Erstattung der Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV).

Im Gegensatz zu der Arzneimittelbewertung geht es im Verfahren der Bewertung von Medizinprodukten darum, ob eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Rahmen des Leistungskatalogs der GKV

  • weiter erstattet,
  • Potenzial bietet und daher näher untersucht werden, oder
  • aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen werden soll.

Dabei existieren unterschiedliche Regelungen bezüglich des Leistungskatalogs der GKV in der stationären und ambulanten Versorgung. In der ambulanten Versorgung dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur zu Lasten der GKV erbracht werden, wenn diese ein positives Votum des G-BA erhalten haben und in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen wurden (Erlaubnisvorbehalt). Im Gegensatz dazu dürfen in der stationären Versorgung neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der GKV erbracht werden, solange die Leistungen nicht vom G-BA aufgrund mangelnden Nutzens aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen werden (Verbotsvorbehalt). Diese Bewertung des Nutzens regelt der § 137h SGB V.

Anhand der vom Krankenhaus (KH) eingereichten Unterlagen über den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode bewertet der G-BA deren Nutzen. Die Bewertung kann in einem Beleg des Nutzens einer Methode, Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative und auch in einen nicht belegten Nutzen resultieren. Ein nicht belegter Nutzen der Methode würde im Anschluss zu einem Ausschluss der Methode aus dem Leistungskatalog der GKV führen.

Die gesetzliche Grundlage für das Verfahren bietet hierfür der § 137h SGB V (seit Juli 2015, durch GKV-Versorgungsstärkungsgesetz), nähere Details finden sich zum einen in der Medizinproduktebewertungsverordnung (MeMBV), zum anderen in der Verfahrensordnung des G-BA (8. Abschnitt des 2. Kapitels).

Für welche Medizinprodukte ist die Bewertung nach § 137h SGB V relevant?

Unterlagen zur Bewertung von stationär erbringbaren Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind für Medizinprodukte einzureichen, die alle der folgenden Voraussetzungen erfüllen:

  • Es handelt sich um eine erstmalige Anfrage auf zusätzliches Entgelt für die Vergütung im Rahmen eines NUB-Antrags (NUB=Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK),
  • die technische Anwendung beruht maßgeblich auf dem Einsatz von Medizinprodukten hoher Risikoklassen (Klasse IIb oder III und/oder besonders invasiv oder aktiv implantierbar), und
  • das Produkt weist ein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept auf.

Die beiden letztgenannten Kriterien „neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept“ und „Medizinprodukt mit hoher Risikoklasse“ sind im 2. Kapitel §§ 30 und 31 der Verfahrensordnung (VerfO) des G-BA1 definiert.

Wie läuft das Bewertungsverfahren ab?

Bereits vor Beginn des Verfahrens, der Einreichung des NUB-Antrags und der Erstellung der Unterlagen, haben das Krankenhaus und der Medizinproduktehersteller die Möglichkeit einer kostenlosen Beratung beim G-BA. Im Rahmen dieser kann der G-BA einen rechtlich verbindlichen Beschluss fassen, ob die Voraussetzungen für eine Bewertung der Methode vorliegen.

Initiiert wird das eigentliche Bewertungsverfahren durch die Übermittlung von Informationen über den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einer Methode und zu der Anwendung des Medizinprodukts. Zur Übermittlung dieser Informationen an den G-BA ist jenes KH gesetzlich verpflichtet, welches erstmalig eine NUB-Anfrage zu einer Methode stellt, deren technische Anwendung maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinprodukts mit hoher Risikoklasse beruht. Vor der Informationsübermittlung muss das KH das Benehmen mit dem Hersteller des eingesetzten Medizinprodukts herstellen.

Einreichung

Die Informationsübermittlung an den G-BA muss auf dem Postweg erfolgen. Dabei ist das das vom G-BA bereitgestellte Formular zu verwenden. Dieses muss ausgefüllt einschließlich der begründenden Unterlagen (sämtliche zitierte Quellen, medizinproduktbezogene Unterlagen) auf einer DVD gespeichert werden, welche gemeinsam mit einem ausgedruckten und unterschiebenen Exemplar des Formulars an den G-BA gesendet wird. Dabei ist zu beachten, dass dies zeitgleich mit der Einreichung des NUB-Antrags beim InEK erfolgen soll. NUB-Anträge können vom Leistungserbringer jedes Jahr im Zeitraum von 01. September bis einschließlich 31. Oktober beim InEK eingereicht werden.

Informationsergänzung und Prüfung der Voraussetzungen für eine Bewertung

Nach einer Vollständigkeits- und Plausibilitätsprüfung durch den G-BA werden die übermittelten Angaben auf der Internetseite des G-BA veröffentlicht. Mit der Veröffentlichung können andere KH sowie Hersteller von Medizinprodukten dem G-BA weitere Informationen bereitstellen. Nach Eingang aller Informationen bewertet der G-BA auf Basis der gesamten eingegangenen Unterlagen, ob die oben genannten Voraussetzungen zur Nutzenbewertung erfüllt sind.

Bewertung der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode

Auf Basis der eingereichten Unterlagen ermittelt der G-BA den Nutzen der zu prüfenden Untersuchungs- und Behandlungsmethode anhand von patientenbezogenen Endpunkten (z.B. Mortalität, Morbidität, Lebensqualität, Nebenwirkungen). Die Bewertungskategorien und die daraus resultierenden Richtlinien-Entscheidungen sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt.

Tabelle 1: Bewertungskategorien von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 137h SGB V (siehe auch Abbildung des G-BA zum Ablauf des Verfahrens)

Bewertungskategorie Folgen
Der Nutzen einer Methode wird als belegt angesehen
  • Prüfung durch den G-BA, ob qualitätssichernde Maßnahmen erfolgen müssen
  • die Methode kann weiterhin zu Lasten der GKV abgerechnet werden
Der Nutzen einer Methode ist nicht hinreichend belegt, bietet jedoch das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative
  • Entscheidung über Erprobungsstudien um noch fehlende Erkenntnisse zu generieren
  • alle KH, die die Methode zu Lasten der GKV erbringen möchten, sind verpflichtet, an der Erprobung teilzunehmen
Die Methode weist nicht das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative auf, insbesondere weil sie als schädlich oder unwirksam anzusehen ist
  • der G-BA entscheidet über Ausschluss der Methode aus dem Leistungskatalog der GKV

Welche Lehren kann man aus den bisherigen Verfahren ziehen?

Am 16. März 2017 wurden die ersten Bewertungsverfahren abgeschlossen und die Ergebnisse veröffentlicht. Nach Analyse der eingereichten Unterlagen sowie der Berichte zur Bewertung der Methoden durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wird deutlich, dass methodische Lücken bei der Evidenzsynthese Zweifel an dem Nutzen einer Methode schüren. Hier bleibt sich das IQWiG treu – der fehlende Nachweis von Evidenz ist kein Nachweis der nicht-vorliegenden Evidenz.

Was bedeutet das konkret für den Antragsteller? Methodische Schwächen der Evidenzsynthese sind immer zu vermeiden. Fehlende Studienregisterrecherchen , ungeeignete Suchabfragen medizinischer Datenbanken, unzureichende Aufarbeitung der Rechercheergebnisse und die damit verbundene Skepsis, dass eventuell relevante Publikationen und Studien nicht dargestellt wurden, werden immer die Bewertung negativ beeinträchtigen. Auch formale Lücken, wie fehlende Begleitdokumente, -dateien und Volltexte, werden in den Bewertungen des IQWiG thematisiert.

Wie bei den Arzneimitteln gilt auch hier: unpassende Studiendesigns oder fehlende Endpunkte können den Nachweis eines Nutzens (auch beträchtlich) erschweren; Allerdings führt eine unvollständige und ungenaue Darstellung der Studienergebnisse zwangsläufig zu Zweifeln am Gesamtnutzen des Produktes.

Tabelle 2: Bisherige abgeschlossene Bewertungsverfahren

Verfahren Indikation Beschluss
Ultraschall, hoch-intensiv fokussiert, ultraschallgesteuert Tumor des Knochen oder Gelenkknorpels, bösartig, nicht chirurgisch behandelbar, primär kein Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative
Ultraschall, hoch-intensiv fokussiert, ultraschallgesteuert Tumor des Knochen und Knochenmarks, bösartig, nicht chirurgisch behandelbar, sekundär kein Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative
Ultraschall, hoch-intensiv fokussiert, ultraschallgesteuert Tumor der Leber oder intrahepatischen Gallengänge, bösartig, nicht chirurgisch behandelbar, sekundär kein Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative
Ultraschall, hoch-intensiv fokussiert, ultraschallgesteuert Pankreaskarzinom, nicht chirurgisch behandelbar kein Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative
Ultraschall, hoch-intensiv fokussiert, ultraschallgesteuert Leiomyome des Uterus Nutzen nicht hinreichend belegt, aber Potenzial
Ultraschall, hoch-intensiv fokussiert, ultraschallgesteuert Endometriose des Uterus kein Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative
Ultraschall, hoch-intensiv fokussiert, ultraschallgesteuert Patienten mit nicht chirurgisch behandelbarem hepatozellulärem Karzinom Nutzen nicht hinreichend belegt, aber Potenzial
Lungendenervierung, gezielte COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung) kein Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative

Konsequenzen und Empfehlungen

  • Wenn möglich sind die Bewertungsgrundlagen des G-BA2 bei der Planung von Studien mit dem Produkt/Verfahren zu berücksichtigen, um eine möglichst breite Evidenzbasis für die Nutzenbewertung zu schaffen.
  • Methodische Lücken sind stets zu vermeiden; dabei sollten die Verfahrensanweisungen des G-BA3, das Methodenpapier des IQWiG4 etc. unbedingt beachtet werden.
  • Führen Sie Studienregister und bibliographische Recherchen nach den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und der evidenzbasierten Medizin durch (The “Do’s and Don’ts” when searching clinical trials registers). Vor allem eine lückenlose Dokumentation der Evidenzsynthese von der Generierung der Suchstrategie bis hin zur Selektion durch mindestens zwei unabhängige Reviewer ist ein Muss.
  • Planen sie genügend Zeit für die Aufbereitung der Ergebnisse und ggf. etwaiger Zusatzanalysen eigener oder fremder Daten ein.
  • Unterstützen Sie den Antragsteller – Stellen Sie Studiendaten, etwaige Zusatz- und Metaanalysen rechtzeitig zur Verfügung, damit diese gut aufgearbeitet werden können.

Picture: @sean824 /Fotolia.com

 

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  1. Verfahrensordnung des G-BA, https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1331/VerfO_2016-10-20_iK-2017-01-20.pdf
  2. Bewertungsgrundlagen des G-BA, https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1331/VerfO_2016-10-20_iK-2017-01-20.pdf
  3. Verfahrensanweisungen des G-BA, https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1331/VerfO_2016-10-20_iK-2017-01-20.pdf
  4. Methodenpapier des IQWiGhttps://www.iqwig.de/download/IQWiG_Methoden_Version_4-2.pdf