Vom Aussterben bedroht – gefährdet der Brexit klinische Prüfungen in UK?
Aktuell laufen ca. 1.500 klinische Studien in verschiedenen EU Mitgliedsstaaten, deren Sponsoren ihren Sitz in UK haben. Schätzungen zu Folge werden 50 % dieser Studien auch nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (BREXIT) am 30. März 2019 weiterlaufen.1
In diesem Zusammenhang stellt sich unweigerlich die Frage: Wie geht es mit den klinischen Prüfungen und der Zusammenarbeit mit UK nach dem Brexit weiter?
Wie alles begann
Gemäß dem Eingang des Kündigungsschreibens von UK an die EU gilt, sofern kein anderes Austrittsdatum festgelegt wird, der 30. März 2019 als offizielles Austrittsdatum (vgl. Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union). Spätestens am 30. März 2019 muss also die EMA an ihrem neuen Standort Amsterdam arbeitsfähig sein – und gleichzeitig muss es für UK nationale Vorgaben geben, welchen regeln, wie mit laufenden und neuen klinischen Studien umzugehen ist.
Bereits am 26. Januar 2018 wurde seitens der EMA entschieden, dass sie zunächst in ein temporäres Gebäude umzieht, da der eigentlich geplante Neubau nicht rechtzeitig fertig sein wird. Gemäß dem Zeitplan der EMA werden alle (verbleibenden) Mitarbeiter bis zum 30.03.2019 in das temporäre Gebäude umgezogen sein. Das eigentliche Gebäude wird am 15.11.2019 fertig gestellt bzw. voll funktionsfähig und der Umzug der Mitarbeiter dorthin soll am 31.12.2019 abgeschlossen sein.2 Schätzungsweise werden etwa 20 % der rund 900 Mitarbeiter nicht mit nach Amsterdam umziehen3 und das temporäre Gebäude wird nur ca. die Hälfte der Fläche der jetzigen Büroräume besitzen.
Es ist also davon auszugehen, dass die EMA nach ihrem Umzug nach Amsterdam nicht von Beginn an zu 100 % einsatzfähig ist.
Aber: Vorbereitung ist bekanntlich alles!
Um den Unwägbarkeiten dieses Umzugs zu begegnen, hat die EMA einen Brexit Preparedness Business Continuity Plan (BCP) 4 erstellt, der anhand 3 Prioritätsebenen (Kategorie 1=höchste) festlegt, welche Aktivitäten in welcher Form und in welcher Phase des Plans aufrecht erhalten werden sollen. Der BCP sieht u.a. vor, dass Kernaufgaben wie die Pharmakovigilanz, die Zulassungsverfahren sowie die Arzneimittelüberwachung bzgl. Sicherheit und Qualität in jedem Fall uneingeschränkt weitergeführt werden sollen.5
Die Zeitplanung für die Fertigstellung des EU Portals, an dessen Funktionsfähigkeit die Anwendbarkeit der EU-Verordnung 536/2014 hängt, könnte jedoch durch den Umzug beeinträchtigt werden: „some further planning adjustments may be required“. 6 Ausgehend vom Worst-Case-Szenario, dass das EU Portal bis zum finalen Umzug der EMA in das endgültige Gebäude auf Eis läge, ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine neue, offizielle Aussage zum Termin der Fertigstellung des Portals erscheint. Inoffizielle Schätzungen gehen von mindestens 1 Jahr Verzögerung aufgrund des Umzuges aus.
Points to Consider
UK als Drittland
Ab dem 30. März 2019 ist UK ein Drittland (analog z. B.: den USA). Damit schließt die Clinical Trial Regulation, bei der auch die zentrale Einreichung über das EU Portal vorgesehen ist, UK ab diesem Zeitpunkt aus. Das heißt, Studien müssen lokal genehmigt bzw. votiert werden. In einer multinationalen Studie muss also für UK ein zusätzliches Votum, was mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist, eingeholt werden. Dies wird nur eine der zusätzlichen Hürden für Sponsoren sein, Studien in UK durchzuführen. Ob UK hier Anreize zur Durchführung von klinischen Prüfungen in UK schafft, wie z. B. kürzere Timelines zur Genehmigung einer klinischen Prüfung, ist ungewiss.
Funktionen in EMA Gremien
Alle offiziellen EMA-Funktionen von Vertretern aus UK müssen neu besetzt werden, z. B.: (Co-) Rapporteure, Inspekteure, Gremien Funktionäre. Für Produkte mit (Co-) Rapporteuren aus UK übernehmen ab Q4/2018 die neuen (Co-) Rapporteure die Führung für den regulatorischen Prozess sofern absehbar ist, dass dieser nicht bis 29. März 2019 abgeschlossen sein wird. Der offizielle Übergang wird erst zum 30. März 2019 stattfinden, bis dahin behalten die bisherigen (Co-) Rapporteure (aus UK) die Gesamtverantwortung.7
Bislang wurde die Übernahme bestehender Zulassungen, sog. „RMS-Switch“, erst für ca. 15 % der Medikamente geschafft. Daher rät das BfArM „diese baldmöglichst einzureichen, um einen Übernahmestau kurz vor Inkrafttreten des „Brexit“ zu vermeiden“.8
Scientific Advice
Ein nationaler „Scientific Advice“ aus UK wird zukünftig behandelt wie ein „Scientific Advice“ aus einem Drittland (und kann dementsprechend bei einer Einreichung aufgenommen werden).
Pharmacovigilance system master file (PSMF)
Das PSMF muss an einem Standort innerhalb der EU vorgehalten werden. Also entweder dort, wo die hauptsächlichen PV-Tätigkeiten stattfinden oder am Sitz der Qualified Person for Pharmacovigilance (QPPV)9 – d.h. nicht mehr in UK.
Rechtlicher Vertreter Sponsor
Ein Sponsor mit Sitz außerhalb der EU braucht einen rechtlichen Vertreter (Ansprechpartner) in der EU. Dieser rechtliche Vertreter darf also ebenfalls nicht mehr seinen Sitz in UK haben!
IMP Logistik / Prozesse
- Die Funktion von UK als eines der Hauptimportländer von Medikamenten in die EU fällt durch den Brexit weg.
- Ein Batch Release in UK für zentral zugelassene Arzneimittel würde einem Batch Release in einem „Drittland“ gleichkommen.
- Ein Re-labelling bei Haltbarkeitsverlängerungen in UK im Drittlandstatus ist problematisch.
- Bei klinischen Studien wäre der Einsatz von Vergleichsmedikamente mit alleiniger Zulassung in UK ein IMP.
Pharmacovigilanz-Meldungen
Wohin werden Pharmakovigilanz-Meldungen zu tätigen sein?
Da die Nutzung der Eudravigilance-Datenbank durch UK ab dem Zeitpunkt des Austritts (eigentlich) nicht mehr möglich sein wird, müssen diesbezüglich Vereinbarungen mit der EU getroffen werden.
Auch wenn solche Vereinbarungen bereits im, seit 2018 gültigen, 5-Jahresplan der „Medicines and Healthcare products Agency” (MHRA) vorgesehen sind, bleibt abzuwarten, ob diese bis zum Austritt umgesetzt werden oder ob eine weitere Übergangslösung notwendig sein wird.
Fazit
Der BREXIT holt uns mehr und mehr ein und viele Fragen sind weiterhin ungeklärt. Durch notwendige Doppel-Strukturen (z. B.: Firmensitz, rechtlicher Vertreter oder QPPV), einen hohen administrativen Aufwand für die Pharmazeutischen Unternehmer aufgrund der notwendigen Änderungsanzeigen und evtl. notwendiger Änderungen bei Supply Chain, Importwegen sowie der Produktionskette werden viele Herausforderungen auf uns zukommen. Wir sollten jedoch trotzdem (oder gerade deshalb) die Zeit nutzen und die Punkte in Angriff nehmen, von denen wir bereits jetzt wissen, dass und wie sie kommen werden!
Und auch wenn UK für die EMA in Zukunft ein „Drittland“ ist, beabsichtigt UK die Regularien der EU für die Durchführung von klinischen Studien anzuwenden. Insbesondere soll – soweit es die Gegebenheiten zulassen – die EU-Verordnung 536/2014 umgesetzt werden.
Dies lässt auf einen „weichen BREXIT“ und eine Anlehnung des UK an die EU Regularien und Prozesse zur Durchführung von klinischen Studien hoffen – damit auch zukünftig UK als wichtiges Partner-Land für klinische Prüfungen erhalten bleibt!
1http://www.efpia.eu/media/288531/brexit-survey-outcome-08112017.pdf
5European Medicines Agency Brexit Preparedness Business Continuity Plan
6http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/regulation/general/general_content_000629.jsp
7Practical guidance for procedures related to Brexit for medicinal products for human and veterinary use within the framework of the centralised procedure
9Verordnung (EG) 520/2012, Artikel 7 (1)
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